Die Verbindung eines Forschungsprojektes mit einem Ausstellungsprojekt ist immer noch ein seltener Glücksfall in der deutschen Forschungslandschaft. „2 Millionen Jahre Migration“ ist aus einer solchen Verbindung entstanden. Der Sonderforschungsbereich 806 „Our Way to Europe“ startete im Jahr 2009 an der Universität Köln in Kooperation mit der RWTH Aachen, der Universität Bonn und dem Neanderthal Museum. An dem interdisziplinären Großprojekt beteiligen sich etwa 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Geowissenschaften und der Prähistorischen Archäologie (www.sfb806.uni-koeln.de). Gefördert wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (www.dfg.de). Die Ausgangsfragen waren klar umrissen: Auf welchen Wegen kam der anatomisch moderne Mensch nach Europa, welche Ursachen können erkannt werden und wie verlief der Ausbreitungsprozess?
Im Jahr 2015 wurde, ausgelöst durch die politischen Diskussionen in Europa, im SFB 806 der Entschluss gefasst, eine Brücke zu schlagen zwischen Eiszeit und Moderne. Die Ausgangskarte des SFB 806 aus dem Jahr 2009 und die Karte aktueller Migrationswege machten ohne Erklärung deutlich, wie nah sich prähistorische Forschung und Moderne sind. Diese Erkenntnis sollte in einer Ausstellung im Neanderthal Museum an die breite Öffentlichkeit vermittelt werden. Weitere wissenschaftliche Kooperationspartner konnten mit dem ROCEEH Projekt der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (www.roceeh.net) und dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena (www.shh.mpg.de) gewonnen werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Stiftung Mercator (www.stiftung-mercator.de) erklärten sich bereit, die Ausstellung zu fördern. Am 12. Mai 2017 wird sie nun eröffnet und soll nach dem Start im Neanderthal Museum als Wanderausstellung durch den deutschsprachigen Raum touren.
Ziel der Ausstellung ist, die durch die aktuelle politische Situation „emotionalisierten“ Besucher in der Ausstellung mit Forschungsergebnissen und Fragestellungen aus der menschlichen Entwicklungsgeschichte zu konfrontieren. Die verwendeten Begriffe sind Besuchern vertraut, der damit verbundene archäologische Kontext ist ihnen aber weitestgehend neu. Dieser starke Perspektivwechsel soll es Besuchern erlauben, einen distanzierten Standpunkt einzunehmen, der nicht von Tagesaktualität geprägt ist, sondern eher von der Suche nach wissenschaftlicher Erkenntnis.
Die Ausstellung vermittelt drei zentrale Botschaften:
• Migration und Menschwerdung sind untrennbar miteinander verbunden.
• Menschen haben sich seit 2 Millionen Jahren ständig an veränderte Lebensbedingungen und soziale Zusammenhänge angepasst.
• Geoarchäologische Forschung kann einen wertvollen Beitrag zum Verständnis menschlichen Verhaltens leisten.
Vier Meilensteine prähistorischer Migrationsereignisse werden präsentiert: Der erste Auszug des Menschen aus Afrika von etwa 2 Millionen Jahren; die Auswanderung des modernen Menschen vor etwa 100.000 Jahren aus Afrika; die Einwanderung von Bauern und Viehzüchtern aus dem Vorderen Orient nach Europa und die Einwanderung von Pferdezüchtern und Händlern aus den westasiatischen Steppen nach Mitteleuropa zu Beginn der Metallzeiten.
Interviews mit modernen Migranten schlagen einen Bogen zu den Motiven und Erfahrungen aktueller Migration.
Für mich ist es eine besondere Erfahrung auf beiden Seiten agieren zu dürfen: als Forscher im SFB 806 und als Museumsdirektor bei der Konzeption und Realisierung der Ausstellung.
Prof. Dr. Gerd-Christian Weniger