Tamara Ströter ist Testerin und Projektbeauftragte des inklusiven Projektes NMsee (zum Blogartikel). Seit bald 20 Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich für Menschen mit Sehbehinderung, und seit 2015 ist sie erste Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenverein für den Kreis Mettmann e.V. Seit 2002 ist Tamara auf beiden Augen vollständig erblindet. Für viele Menschen mit voller Sehkraft ist es oft schwer, die damit einhergehenden Alltags-Herausforderungen wahrzunehmen, und entsprechend mangelt es in der Praxis häufig an barrierefreien Lösungen. „Oft gibt es statt Treppen alternative Aufzüge, die dann aber über keine Beschilderung in Brailleschrift verfügen und dadurch für sehbehinderte Menschen nur schwerlich zu bedienen sind. Barrierefrei ist nicht gleich rollstuhlgerecht“, verdeutlicht Tamara dieses Problem. Da oft geplant werde, ohne die Betroffenen zu Rate zu ziehen, ist sie daher glücklich, dass sie seit 2017 am Projekt NMsee beteiligt wird: „Ich freue mich, dass wir (BSV Mettmann) gefragt wurden, um an dem Projekt teilzunehmen. Das mit uns statt über uns gesprochen wurde.“ Als Testerin war Tamara eine der ersten Personen, die das inklusive Mobile Game Neanderthal: Memories spielen durfte. Mit uns hat sie über die neue Barrierefreiheit im Neanderthal Museum gesprochen und ihre Erfahrungen mit dem Mobile Game geteilt.
Ein leichter Einstieg in das Museum
Durch Neanderthal: Memories bzw. das Projekt NMsee kommen auch einige bauliche Veränderungen im Museum zum Vorschein. Ein Bodenleitsystem wurde verlegt und verschiedene Taststationen installiert. Die erste Station befindet sich noch vor der Ausstellung gleich nach dem Kassenbereich. Es besteht aus mehreren Modellen vom Gebäude, die Aufschluss über das Museum und wichtige Ankerpunkte wie Ausstellungsbereiche, Treppen oder auch die Sanitäreinrichtungen geben. Als Tamara sich das erste Mal an diese Station begab, war sie sehr überrascht: „Ich wusste, dass das Museum spiralmäßig hochgeht, aber habe es mir mehr als Zylinder vorgestellt. Jetzt mal zu fühlen, dass es so in die Länge gezogen ist, das ist schon interessant. Man bekommt doch nochmal ein anderes Bild vom Gebäude als wenn man immer nur hochläuft. Man merkt zwar, dass es immer bergauf läuft, ist aber ansonsten ja auch immer mit den Stationen beschäftigt.“ Allgemein helfe diese Station schon enorm bei der Orientierung, weil Gäste so einschätzen können, wie das Gebäude von innen aussieht – gerade wenn man sich zum ersten Mal darin befindet.
„Mit den Teilen, die nun in der Ausstellung installiert sind, käme ich auch ganz alleine durch die Ausstellung“
Das neue Bodenleitsystem und die vielen neuen Schilder mit Profil- und Brailleschrift helfen darüber hinaus bei der Orientierung. Als Beispiel führt Tamara den Tastplan mit einem Hinweis auf den Lift am Ende der Ausstellung an, der die Besucher*innen zurück in das Erdgeschoß bringt. Man müsse sich zwar abhängig von der Lautstärke anderer Museumsgäste und dem eigenen Orientierungssinn immer noch konzentrieren, um den Lift zu finden, vor den Umbaumaßnahmen wäre dies aber überhaupt nicht denkbar gewesen. Die erleichterte Orientierung im Museum hat aber noch einen ganz anderen positiven Effekt. Man sei nun weniger abhängig von seiner Begleitung, so Tamara. „Das mit den Leitlinien ist toll. Ich habe jetzt die Chance, dass ich selbstständig durch die Ausstellung gehen kann. Sonst stand man immer hilflos rum (Anmerkung: wenn die Begleitung sich gerade ein anderes Ausstellungsstück anschaut), und so kann ich mich trotzdem orientieren. Auch wenn ich in Begleitung bin, muss man nicht aufeinander kleben. Das finde ich sehr angenehm. Man ist selbstständiger und unabhängiger.“ So fällt ihr Fazit sehr positiv aus: „Mit den Teilen, die nun in der Ausstellung installiert sind, käme ich auch ganz alleine durch die Ausstellung.“
„Was ich lustig finde, sind die Füße. Man hat immer das Bedürfnis, die zu kitzeln.“
In der Ausstellung führt Neanderthal: Memories zu insgesamt 16 Spielstationen. Eine Lieblingsstation hat Tamara nicht. Aber die Landkarte mit der Kühlplatte sei cool, weil sie durch die darin verbaute Technik etwas Besonderes ist, sagt uns Tamara. Genauso die Schädelrepliken, die interessant anzufassen seien. „Was ich lustig finde, sind die Füße. Man hat immer das Bedürfnis, die zu kitzeln“, lacht Tamara. Bezüglich der Detailliertheit der Tastobjekte erwartet sie bereits eine sehr interessierte Berufsgruppe: „Bei dem älteren Fuß (Anmerkung: Affen-Fuß) denkt man immer, da müsste mal eine Fußpflegerin vorbeikommen. Ein Orthopäde hätte daran sicher noch mehr Spaß. Der würde das auch spannend finden.“ Bedenken, ob es unter den Gästen Hemmungen geben könnte, die Knochen oder Schädel anzufassen, kann sie nicht teilen. „Es ist sehr angenehmes Material.“ Auch zu erkennen, wobei es sich bei den Tastobjekten handele, falle ihr leicht, wobei: „Bei den Werkzeugen weiß man meistens was es ist, aber nicht direkt wofür. Den Feuerstein kann ich zum Beispiel nur als Stein identifizieren.“ Aber: „Das es sich dabei um einen Feuerstein handelt, erfährt man zum Glück ja wiederum über die App (Anm.: Neanderthal: Memories).“
„Als würde man von der Oma oder der Mutter nachts eine Geschichte vorgelesen bekommen“
Aber wenn ihr jetzt denkt, das Mobile Game liefere nur trockene Informationen, liegt ihr falsch. Stattdessen helft ihr Nami, einer Eiszeitjägerin aus der Steinzeit, die Erinnerungen an ihre letzte Reise mit ihrem Sohn wieder zu finden. Dabei lauscht ihr Namis Erzählungen. Neben der künstlichen Intelligenz, die euch das Spiel erklärt und euch wertvolle Informationen, Hinweise und Auswahlmöglichkeiten liefert, lauscht ihr also vor allem unseren beiden Hauptcharakteren über mitgebrachte Kopfhörer. Während die Geschichte von Neanderthal: Memories beginnt, fühlt sich Tamara in Kindheits-Tage zurückversetzt: „Man wird auf eine Zeitreise in die Vergangenheit mitgenommen. Das Wissen wird durch eine Erzählung vermittelt und nicht wie in der Schule durch den Monolog eines Lehrers. Der Dialog ist angenehmer, als würde man von der Oma oder der Mutter nachts eine Geschichte vorgelesen bekommen. Auf diese Art und Weise ist die Wissensvermittlung deutlich lebendiger, als einfach nur ein Schild vorgelesen zu bekommen.“
Auch die Hauptcharaktere findet Tamara sympathisch. Das liege vor allem an den angenehmen Stimmen und der Art wie sie sprechen. Da Tamara nicht sieht, geht es ihr vor allem ums Hören. Sie verdeutlich das an einem Beispiel: „Es gibt schlechte Hörbücher, die von einem guten Sprecher gesprochen sind. Die man dadurch gerne hört. Genauso gibt es gute Bücher, die allerdings von jemandem gesprochen sind, den man nicht ertragen kann und die ich dann nicht zu Ende hören kann.“ Zum Glück gefallen ihr die Sprecher*innen bei Neanderthal: Memories aber sehr gut. Der Sprachduktus und die Stimmen der Charaktere seien zudem deutlich voneinander abgehoben, sodass man diese leicht voneinander unterscheiden könne. Ein Bild vom Äußerlichen der Charaktere mache sie sich aber trotzdem nicht. Wichtiger sei der Mensch, der in den Klamotten stecke.
Erfahrungen, die jeder Spieler selbst machen muss
Den besonderen Reiz des Spiels mache ohnehin aus, dass ihr Geschichten aus dem Alltag der beiden Eiszeit-Jäger*innen hört und dabei in deren Welt abtaucht. Da ihr die Geschichte durch eure Entscheidungen beeinflussen könnt, wird das Spielerlebnis für alle Spieler*innen ganz individuell, meint Tamara: „Es gibt viele Möglichkeiten. Ich kann andauernd ja oder nein sagen und habe immer ein anderes Ergebnis. Man kann sich entscheiden die Umgebungselemente anzusteuern oder nicht. Man kann fünf Mal kommen und es fünf Mal anders erleben. An einigen Stationen war ich selbst schon fünf Mal und stelle dann fest, dass ich etwas noch nie gesehen habe“, sagt Tamara. Oft seien dies Feinheiten, es komme aber auch mal vor, dass man beim vorherigen Durchlauf doch mal eine Brailleschrift übersehen hat. Gerade diese Erfahrung müsse auch jede*r Spieler*in des Mobile Games machen. „Bei den Tests haben wir gemerkt, dass die Herangehensweise jedes Testers ganz unterschiedlich ist. Auch die Erwartung ist unterschiedlich“, beschreibt Tamara im Gespräch.
Vorbereitung ist sehr wichtig
Damit der Besuch und das Spiel im Neanderthal Museum zum Erfolg werden, rät Tamara: „Ich würde mich zu Hause vorbereiten und die Anleitung anhören. Ich würde das Game auch schon einmal in Ruhe zu Hause herunterladen. Im Museum muss man sich dann natürlich noch in das Museums-WLAN einloggen.“ Spontan entschlossenen Besucher*innen empfiehlt sie, sich gegebenenfalls an der Kasse oder von Mitarbeiter*innen des Museums beraten und helfen zu lassen. Noch vor dem Anfang der Ausstellung gibt es Sitzgelegenheiten, um sich die Anleitung anzuhören oder das Navigationsmenü auszuprobieren. Das App-Game ist so konzipiert, dass es jedem Gast einen Mehrwert liefert und jede*r seinen Spaß daran findet. „Schließlich geht es nicht um das Gewinnen oder darum ein Ziel zu erreichen“, sagt Tamara. Stattdessen stehe das Erlebnis im Vordergrund. So können wir allen Besucher*innen nur raten, einmal selbst in das Neanderthal Museum zu kommen und die Geschichte von Nami und ihrem Sohn zu erleben.
Wir danken Tamara Ströter ganz herzlich für ihre Mitarbeit und das nette Interview. Natürlich sind wir auch auf eure Erfahrungen mit Neanderthal: Memories gespannt und freuen uns über Feedback.