ERASMUS+: Work-Shadowing am Museum für Ethnographie in Budapest

von Louis Vosse

Schon das Gebäude des Museums für Ethnographie in Budapest lässt die aufmerksamen Besuchenden erahnen, was für eine Erfahrung im Inneren auf sie wartet. Die Fassade dieses Gebäudes wurde in Anlehnung an traditionelle Textilien entworfen, die z.B. von Mitgliedern unterschiedlicher Zünfte verwendet wurden, um sich zu erkennen zu geben. Verschiedene Muster aus Ungarn, aber auch dem Rest der Welt, wurden kombiniert um die Fassade aus Metall zu weben, und dem Gebäude damit eine Verkleidung zu geben, die zu den vielfältigen Artefakte in seinem Inneren eine Verbindung knüpft.

Wer das Museum besucht, findet im Inneren mehrere Ausstellungen, die Artefakte und ihre Geschichten erzählen, und den Besuchenden dazu anregen, seine eigene Perspektive zu erweitern und überdenken und sich in andere Welten und Zeiten entführen zu lassen. Hergestellt wurden einige davon von Mitgliedern der Zünfte, dessen Muster in der Fassade verewigt wurden.

Ich habe einmal auf einer Reise das Museum besucht, und war nun sehr froh, dort ein Jobshadowing durch führen zu können und zu erfahren, was für ein pädagogisches Angebot ein Museum dieser Art bieten kann. Ich habe mich gefragt, wie mit den vielen Artefakten aus ganz unterschiedlichen Zeiten und Kulturen umgegangen wird und welche Fragen dabei gestellt und welche beantworten werden können. Da ich als Besucherbegleiterin im Neanderthal Museum ebenfalls oft anhand einer kleinen Feuersteinklinge oder einer Tonscherbe versuche, den Besuchenden Wissen über vergangene Zeiten zu vermitteln, erschien dieses Museum mir als ein Ort, an dem ich viel lernen kann.

Während meiner Zeit dort, habe ich die Mitarbeitenden der pädagogischen Abteilung begleitet. Die Museumspädagogik übernehmen dort 8 Festangestellte. Vormittags werden, wenn Bedarf da ist, Programme für Schulklassen gegeben und nachmittags werden organisatorische Belange bearbeitet. Da ich bei Letzterem durch geringe Kenntnisse der Ungarischen Sprache meist nicht viel mithelfen konnte, nutzte ich die Zeit, um mich durch die Ausstellungen zu arbeiten. Neben einer, verhältnismäßig kleinen (aber dennoch spannenden!) Dauerausstellung, bietet das Museum meist 2 oder 3 Sonderausstellungen. Auch gibt es einen sogenannten „Ceramic space“ zu begutachten, der sogar ohne Eintrittskarte im Foyer zugänglich ist. Auch hatte ich die Möglichkeit, in anderen Museen in Budapest Führungen und Workshops mitzumachen.

Im „Ceramic space“ bietet das Museum einen Einblick in seine vielfältige Sammlung an Keramiken aus allen möglichen Zeiten und Kulturen. Es wird hinterfragt, wie diese am besten zu ordnen sind. Nach Nation oder Kultur, die sie herstellte? Nach Herstellungszeitpunkt? Nach Farbe? Nach Funktion (z.B. Krüge, Teller, Vasen etc.). Deutlich wird hier, dass in jeder Ordnung neue Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede gefunden werden können. Jede Ordnung ergibt Sinn, stellt aber auch neue Fragen an unseren Blick auf das Artefakt.

Die Dauerausstellung trägt den Titel „Zoom“ und ist setzt dieses Spiel mit der Perspektive fort. Es werden verschiedene Perspektiven, Kameraeinstellungen und Belichtungseinstellungen für Artefakte ausprobiert und versucht, mit ihnen ein Narrativ auf zu bauen. Ausstellungsobjekte, wie z.B. eine Wand mit Portraitphotographien lädt zum Erzählen und Ausdenken von Geschichten und knüpfen von Verbindungen ein.

Die pädagogischen Angebote für Schulklassen regen die Gruppen dazu an, sich auf die verschiedenen Geschichten ein zu lassen, die die Artefakte erzählen können. Ein ungarischer Kollege, dem ich während eines Programms folgte, fasste sich an den Kopf und erklärte, dass es ihm das Wichtigste sei, die Vorstellungskraft zu erwecken. Neben den Fakten über Kulturen und Epochen, die den Schulklassen z.B. „Ceramic space“ vermittelt wird, sollen sie also selbst aktiv werden, und sich überlegen, was sie selbst ausstellen würden. Welche Art von Artefakt würden sie am liebsten sehen, wenn sie eine neue Kultur kennen lernen und warum? Was würden sie in die Vitrine packen, um sich selbst jemandem vor zu stellen? Das sind nur ein paar der Fragen, die die Schulklassen während dieses Programms gemeinsam bearbeiteten und ihre Antworten am Ende vorstellten. In anderen Programmen, wurden unterschiedliche Artefakte untersucht. Es wurde besprochen, welches Wissen jemand haben muss, der ein Artefakt hergestellt, benutzt oder als Händler verkauft hat. Auch sollte das Artefakt, z.B. ein originales Hufeisen aus dem 19. Jh., einem Foto der Portraitwand zugeordnet werden.

Alleine in den Ausstellungen verbrachte ich teilweise sehr lange Zeit vor einer einzelnen Vitrine. Zum Beispiel stieß ich darauf, dass es in Transsylvanien noch immer deutschsprachige Minderheiten gibt, sogenannte „Ungarndeutsche“, oder „Donauschwaben“. Das Museum stellte einige antike Möbel dieser Bevölkerungsgruppe aus und beleuchtete ihr Schicksal und ihre Vertreibung während der Soviet-Zeit.

Auch las ich im Rahmen der traditionellen Kopftücher einiges über die Szekler, die eine ungarisch sprechende Minderheit im heute zu Rumänien gehörenden Transsylvanien darstellen. Es faszinierte mich, mehr über ethnische Minderheiten zu erfahren, von denen ich vorher nicht wirklich etwas wusste, und zu sehen, wie weit Sprachen sich ausbreiten können und wie viele Teile Europas durch Mehrsprachigkeit und kultureller Vielfalt ausgezeichnet sind. Dies ist ein Thema, dass mich auch im Nachhinein noch viel faszinieren wird und mit dem ich mich weiterhin auseinandersetzen möchte.

Wer am Museum für Ethnographie zu arbeiten beginnt, entwirft normalerweise sein eigenes pädagogisches Programm, das nur von der jeweiligen Person durchgeführt wird. Symbolisch sollte auch ich am Ende mein eigenes Programm vorstellen. Ich entschied mich dazu, mit alten Textilien zu arbeiten.

Da ich aus meiner Arbeit am Neanderthal Museum Programme kenne, die sich oft um das eigene Basteln und Herstellen von Gegenständen drehen, war es mein Ziel, in meinem Programm beide Ansätze zu kombinieren. Ich entwarf eine Führung, in der die Gruppe verschiedene traditionelle Textilien vorgestellt bekommt, und sich über die Funktion der Muster und Farben Gedanken macht und informiert wird. Dazu wählte ich unterschiedliche Textilien aus, die teilweise an die maschinell hergestellten Muster der Fassade, teilweise an traditionelle Muster aus vergangener Folklore erinnerten.

Als letzter Schritt wartete die Herstellung eines eigenen Buttons auf die Gruppe, verbunden mit der Frage danach, welche Farben oder Symbole sie für sich selbst wählen würden und warum.

Ich habe am Museum für Ethnographie in Budapest viel mehr gelernt und erfahren, als ich in diesem Blog Post abschließend beschreiben könnte. Der interaktive Ansatz im pädagogischen Angebot hat mich dazu inspiriert, mir hier am Neanderthal Museum viel mehr Zeit zu nehmen, die Besuchenden nach ihren Vermutungen, Meinungen und Vorlieben zu Fragen und ich brauche für die Gespräche im Museum oder an einem Artefakt seit meiner Rückkehr viel länger, was ich als positiv sehe. Zusammenfassend kann ich sagen, dass das Work-Shadowing in Budapest sehr inspirierend war und nachhaltig meine Sicht auf viele Dinge, das Museum betreffend aber auch außerhalb, verändert hat.

Lydia Pryba (Pädagogin am Neanderthal Museum)

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