Unser Forschungsteam, das eng mit dem SFB 806 „Our Way to Europe“ (www.sfb806.uni-Koeln.de) verbunden ist, hat seit Mitte 2009 viele Daten zusammengetragen und intensiv diskutiert. Herausgekommen ist das „Repeated Replacement Model“. Vorgestellt haben wir es auf Kongressen in Tarragona und St. Louis. Nun wird es in der Zeitschrift Quaternary International veröffentlicht. Vorab ist die online-Version des Beitrags unter: (http://dx.doi.org/10.1016/j.quaint.2010.10.015) erreichbar.
Worum geht es im „Repeated Replacement Model“ (RRM)? Wir gehen davon aus, dass die Jäger und Sammlergruppen in Europa in der letzten Eiszeit die meisten der in kurzen Abständen von nur 1.000 Jahren auftretenden Kälteschwankungen überlebt haben. Wesentlich war dabei, dass sie im nördlichen Mittelmeergebiet Rückzugsmöglichkeiten hatten. So ergab sich ein Jo-Jo-Effekt. Die Besiedlungsgrenze des Menschen bewegte sich zwischen dem 53. und dem 45. Breitengrad auf und ab.
Genau sechs Mal wurden die kalten Klimaschwankungen verstärkt durch Heinrich Events. Während der Heinrich Events trieben große Eisbergarmadas, die sich vom Laurentischen Eisschild in Nordamerika gelöst hatten, über den Atlantik und sorgten nicht nur für einen weiteren Temperaturabfall sondern im gesamten Mittelmeergebiet für eine extreme Trockenphase. Diese Trockenheit zerstörte kurzfristig die Lebensgrundlagen für Jäger und Sammler in den Rückzugsgebieten und führte zum Zusammenbruch der Population. Die Heinrich Events dauerten nur 100-200 Jahre.
Unser Forschungsteam geht nun davon aus, dass während des Heinrich 4 Events die Neanderthaler in Europa ausgestorben sind. Danach sickerten aus Westasien die ersten Modernen Menschen nach Europa ein. Vor etwa 30.000 Jahren erlitten diese Gruppen dasselbe Schicksal wie die Neanderthaler und starben aus. Sie wurden durch neue Gruppen des Modernen Menschen aus Westasien abgelöst. Das Verschwinden der Neanderthaler wäre nach diesem Modell ein ganz normaler Austauschprozess von Populationen, der sich mehrfach in der letzten Eiszeit ereignet hat. Wir glauben, dass wir mit dem Repeated Replacement Model den Mechanismus erkannt haben, der hinter dem Verschwinden der Neanderthaler steckt. Die neusten Daten aus der Paläogenetik passen ideal dazu. Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit haben sich Moderne Menschen und Neanderthaler nur in Westasien vermischt. Danach ist es in Europa zu keiner weiteren Vermischung gekommen. Das war auch nicht möglich, da nach dem RRM beim Eintreffen der Gruppen des Modernen Menschen in Europa keine Neanderthaler mehr lebten.
Mit unseren Forschungsprojekten auf der Iberischen Halbinsel werden wir das Modell an Fundstellen wie Arbreda, Cueva Morin, Jarama VI, Cueva Anton weiter testen. Neue Fundstellen werden in 2011 noch dazukommen. Das Problem ist, dass die Prozesse von denen wir sprechen mit ihrer Dauer von nur 100 oder weniger Jahren in unserem grobkörnigen archäologischen Befunde häufig nicht erkennbar sind. Dafür suchen wir Lösungen.
Mit bestem Gruß aus dem Neanderthal
Gerd-Christian Weniger