Spannende Einblicke in die faszinierende Welt der Archäologie
Hallo Elham, du bist seit 2019 Wissenschaftliche Leiterin des Projektes „Südkaspischer Korridor: eine biogeographische Ausbreitungsroute der Homininen“. Kannst du uns kurz erklären, wie es zum Projekt kam?
Ich selbst bin in der Region Südkaspischer Korridor geboren. Die Landschaft dort ist ein schmaler Streifen Land zwischen Bergen und Meer, sehr grün und total anders als der Rest des Irans. Sogar das allererste Steinartefakt aus dem Iran ist in dieser Region gefunden worden! Aber nach diesem Fund blieb es in dieser Region wissenschaftlich still. Wenige Archäologinnen und Archäologen wollten dort das Paläolithikum erforschen, da es sehr schwer ist, durch die dichte Vegetation und die Berge zu klettern. Es ist im Wald und Gebirge nicht einfach, kleine Steinartefakte auf dem Boden zu erkennen; ganz anders als zum Beispiel im Zentral-Iran oder West-Iran, wo man Steinartefakte ohne die ganze Vegetation viel einfacher sieht und erkennt.
Welche Fragen möchtest du durch deine Forschung beantworten?
Meine Hauptfrage ist, wie die Neanderthaler nach Zentralasien gekommen sind. Der schnellste, einfachste und praktischste Weg ist der südkaspische Korridor.
Wo hast du dafür vor allem geforscht?
Hauptsächlich im Iran, am meisten im West-Iran im Zagros-Gebirge, in der zentralen Wüste des Irans und am südkaspischen Korridor. Ich habe auch im kleinen Kaukasus in Armenien gearbeitet.
Wie können wir uns deine Ausgrabungen ca. vorstellen?
Ich bin in einer Höhle, mit meinem Notizbuch und meinen Bleistift in der einen und einer Kelle in der anderen Hand. Natürlich auch mit meiner Kamera um meinen Hals und in schlammiger Kleidung!
Was untersuchst du bei deiner täglichen Arbeit im Projekt?
Die Kultur und das Verhalten der Neanderthaler. Wie und warum verschwanden sie? Haben die anatomisch modernen Menschen die Neanderthaler verdrängt?
Welche Funde hast du in der Hand, und was machst du mit ihnen?
Ich arbeite hauptsächlich mit Steinartefakten. Ich zeichne sie, messe sie und untersuche ihre Kanten, damit ich weiß, was die Neanderthaler mit diesen Geräten gemacht haben, welche Arbeiten sie damit erledigt haben. Ich untersuche aber auch Knochenreste: Also, was haben sie damals gegessen? Wie haben sie gejagt?
Was sind die interessantesten Erkenntnisse, die du aus dem Projekt bisher zusammenfassen kannst?
Die Neanderthaler waren intelligent. Sie konnten sich gut in der neuen Umgebung zurecht finden. Die verschiedenen Neanderthaler-Gruppen hatten ihre jeweils eigene Art, sich an die Umgebung anzupassen. Die verschiedenen Gruppen hatten auch unterschiedliche Kulturen, die sich aus den hinterlassenen Materialien ablesen lassen.
Was war deine persönliche Motivation für und Faszination an dem Projekt?
Woher kommen wir Menschen? Wie wurden wir zu der Art Mensch, die wir jetzt sind?
Warum kannst du dich dafür begeistern?
Etwas Neues über unsere Menschheit und unseren langen Weg von Hominiden zu entdecken, ist mir sehr wichtig.
Inwiefern hat dir das Neanderthal Museum bei der Forschung geholfen?
Das Neanderthal Museum ist eine toller Forschungsplatz. Als Wissenschaftlerin bekomme ich hier was ich brauche. Ich bin an genau dem Ort, an dem der Neanderthaler gefunden und zum ersten Mal der Welt vorgestellt wurde. Das ist eine tolle Motivation, hier zu arbeiten. Die Umgebung inspiriert. Jedes Mal, wenn ich zu meiner Arbeitsstelle gehe, fühle ich mich wie eine Neanderthalerin, die zur Jagd geht – wirklich!
Warum war es wichtig, die Arbeit mit der Forschung hier vor Ort zu verknüpfen?
Neanderthaler gehören einfach zu dieser Region. Überall findet man hier Stellen, die nach dem Neandertal benannt worden sind. Neanderbad, Neanderthal Gymnasium, Neanderenergie, usw. Die Neanderthaler, über die ich forsche, hatten einen langen Weg von hier bis in nach Asien hinter sich gebracht. Also fühle ich auch Solidarität mit anderen Neanderthalern, damit wir diese lange Geschichte rekonstruieren können!
Kannst du uns von einem besonderen Moment in deiner Forschungskarriere als Frau in der Archäologie erzählen?
Letzten Sommer war ich im Alborz-Gebirge im Nordiran. Wir waren in einer Region, von der bisher niemand glaubte, dass dort Neanderthaler gewesen waren. Ich habe immer gehofft, dass ich dort eine kleine Spur finden kann. Eine ansässige Person hatte uns über eine Höhle mitten im hyrkanischen Wald erzählt. Dieser Mann sagte, man bräuchte fünf Stunden Fußmarsch durch den Wald und einen Fluss, um dorthin zu gelangen – und eine Frau schaffe es nicht. Ich war aber mutig genug, es trotzdem zu machen. Also habe ich mich mit voller Energie aufgemacht – und tatsächlich habe ich Neanderthaler-Steinartefakte gefunden! Wir haben dann noch weitere fünf Stunden gebraucht, um wieder nach Hause zu kommen. Ich war die einzige Frau in der Gruppe. Am Ende waren alle Männer fix und fertig, aber ich stand da, energisch und zufrieden, mit meinen Steinartefakten und einem Bären-Eckzahn aus dem Pleistozän in meiner Hand und dachte mir: Da werde ich ausgraben! Ich glaube fest an Frauen-Power!
Vielleicht eine Erkenntnis, ein Fund oder auch eine Begegnung mit einer beeindruckenden Kollegin?
Hier nenne ich Prof. Marta Mirazon Lahr. Sie ist die Quelle der Inspiration für mich. In den zwei Jahren, die ich mit ihr zusammengearbeitet habe, habe ich so viel wie in 12 Jahren gelernt: Ethik, Wissenschaft und Selbstvertrauen und natürlich habe ich die Wunder der Archäologie entdeckt!
Warum findest du, sollten sich vor allem mehr Frauen für das Feld der Archäologie und die Wissenschaften im Allgemeinen begeistern?
Ich glaube an das Gleichgewicht (Balance) in allem. Die Frauen können sehr präzise sein, und neue Ideen bringen. Sie sehen die Sachen anders als Männer.
Was würdest du deiner Tochter empfehlen, wenn sie Wissenschaftlerin werden will?
Wenn sie eine Frage hat, versuchen wir immer, gemeinsam eine vernünftige Antwort zu finden. Dabei empfehle ich ihr, dass sie passende Bücher zu ihrer Frage findet und darüber liest. Sie soll sich immer bemühen neue Sachen, die sie noch nicht kennt, zu entdecken und zu erforschen. Ich versuche ihr beizubringen, ihrer Umgebung gegenüber nicht gleichgültig (indifferent) zu sein und einen neugierigen, hinterfragenden Geist zu haben.
Vielen Dank, Elham, für das tolle Interview!