Nur die Spitze des Eisberges? Neue digitale Forschung zu Stein-Spitzen der Eiszeit

von Louis Vosse

Mein Name ist Robin John, ich bin das neueste Mitglied der Forschungsabteilung des Neanderthal Museums. Ich habe ur- und frühgeschichtliche Archäologie in Leipzig und in Köln studiert. Seit November bin ich Promotionsstudent an der Universität zu Köln und berichte hier von meinem Forschungsprojekt. Betreut durch Jun.-Prof. Dr. Andreas Maier erforsche ich die Entwicklung von steinernen Projektil-Spitzen, die während der letzten Eiszeit von unseren Vorfahren für Jagdwaffen (z.B. Speere und Pfeile) benutzt wurden. Ermöglicht wird meine Forschung durch das Helga-Raddatz-Stipendium der NRW Stiftung.

Die Jägerinnen und Jäger der letzten Eiszeit stellten für ihre Speere und Pfeile verschiedene Projektil-Spitzen aus Stein her. Traditionell unterscheiden Archäologinnen und Archäologen diese Steinspitzen in unterschiedliche Typen, wie z.B. „Blattspitzen“.

Herstellung einer steinzeitlichen Projektil-Spitze

Ein weiterer solcher Spitzen-Typ ist die sogenannte „Kerbspitze“: benannt wird sie nach der namensgebenden Kerbe (siehe Abbildung), die an einer Seite der Spitze angelegt wurde. Etwa 29.000 Jahre vor heute, während der jüngeren Altsteinzeit (43.000–11.700 vor heute), wurden diese Kerbspitzen zum ersten Mal hergestellt. Einmal erfunden, verwendeten Menschen auf dem gesamten europäischen Kontinent beinahe die ganze jüngere Altsteinzeit hindurch Kerbspitzen. Das sind fast 18.000 Jahre! Bis dato sind Forschende mit traditionellen Forschungsmethoden zu dem Schluss gekommen, dass sich Kerbspitzen während dieser langen Zeit kaum verändert haben.

Doch stimmt das auch? Oder sehen wir nur die Spitze des Eisberges an Informationen? Gibt es vielleicht Entwicklungen dieser Jagdwaffen, die uns durch die bisherige Betrachtung verborgen geblieben sind? Werden Kerbspitzen im Laufe der Jahrtausende beispielsweise kleiner, schmaler oder spitzer? Können solche Veränderungen mit neuen Umweltbedingungen erklärt werden, zum Beispiel mit anderer Jagdbeute? Gab es Optimierungsprozesse? Gab es regionale Unterschiede in der Spitzenform?

Robin John an seinem Arbeitsplatz im Neanderthal Museum

Um solchen und weiteren Fragen nachgehen zu können, untersuche ich die Kerbspitzen von gut datierten Fundstellen, die in der Forschungsliteratur als Zeichnung oder Fotografie abgebildet sind. Diese Abbildungen scanne ich und lese sie in ein Computer-System ein.

Dieses System beruht auf der Arbeit von Jun.-Prof. Dr. Andreas Maier, der in Zusammenarbeit mit den Studierenden der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Universität zu Köln in den vergangenen Jahren ein neues Aufnahmesystem entwickelt hat.

Gemeinsam mit Florian Linsel vom Institute of Computer Science der Martin-Luther-Universität Halle (Saale)-Wittenberg habe ich das Aufnahmesystem in einem Programmier-Code umgesetzt und automatisiert. Den Programmier-Code nannten wir PyREnArA (Python-R-Enviroment for Artefact Analysis).

PyREnArA ermöglicht es Forschenden, in nur kurzer Zeit eine Vielzahl von Merkmalen von unbegrenzt vielen Artefakten zu ermitteln. Diese Merkmale benutze ich in verschiedenen statistischen Berechnungen. Sie ermöglichen es mir, Veränderungen in der Form der Kerbspitzen zu erkennen, die uns mit traditionellen Methoden vielleicht verborgen geblieben wären.

 

So könnte eine Steinzeit-Jagd ausgesehen haben (Jagdwaffe im Bild: Speerschleuder)

Durch meine Forschung hoffe ich, einen tieferen Einblick in die Entwicklung von Projektil-Spitzen zu bekommen. Zusätzlich möchten Florian Linsel und ich unseren Programmier-Code offen zugänglich machen, sodass Forschende weltweit in Zukunft ein besseres und breiteres Verständnis von der Entwicklung der Werkzeuge unserer Vorfahren gewinnen können.

Wir danken der NRW Stiftung und dem neuen Helga-Raddatz-Stipendium für die Ermöglichung dieser Forschung.

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