Ein Praktikum mit 60 Jahren? Oui, ça va! Und zwar im Rahmen eines ERASMUS+ geförderten Job Shadowings. Und dann auch noch am renommierten Musée de l’Homme in Paris. Quelle chance!
Bereits im Vorfeld erhielt ich von meiner französischen Koordinatorin Emilia Riquet ein ausgefeiltes, abwechslungsreiches Programm, das direkt für meinen ersten Tag Unterstützung im Rahmen einer Infomesse zum Thema „Vivre Ensemble“ im Maison du Monde Arabe vorsah. Ups. Nach nur wenigen Stunden musste ich schon Fragen zu den Möglichkeiten des Musée de l’Homme für bildungsfernes Publikum beantworten. Bien sûr en français. Ein großer Vertrauensvorschuss.
Vor Tag 2 hatte ich schon großen Respekt: ein imposantes Gebäude, eine Riesenforschungsabteilung mit über 100 Wissenschaftlern, ein Haus mit über 2,5 Millionen Besuchern im Jahr.
Aber ich wurde so freundlich von Marine begrüßt und in einem langen Rundgang jedem einzelnen der circa 40 Mitarbeitenden vorgestellt, dass ich mich direkt herzlich aufgenommen fühlte – obwohl Praktikanten vor allem in der Museumspädagogik dort eine Rarität sind. Ganz oben unter’m Dach dann das smac-Team (Service de la mediation et de l’action culturelle) : ein kleines, feines, sehr aufgeschlossenes Team aus insgesamt 6 festangestellten Mitarbeitenden, die mich trotz des zum Teil großen Altersunterschieds sofort herzlich und vor allem auch interessiert an den pädagogischen Angeboten des Neanderthal Museums aufgenommen haben. Jede freie Minute sollte ich nutzen, unsere Programme wie „Schöpfungsglaube trifft Evolutionstheorie“, „Klima und Menschheitsentwicklung“, Bestimmungstag, dem „Hausmeister seine Steinzeit“ etc. auf Französisch zusammenzufassen und gleichzeitig Ideen für deren kommende Sonderausstellung „De la grotte au musée“ beizusteuern. Etwas neidisch blickte man dabei insbesondere auf unsere großartigen Möglichkeiten im Außenbereich. Aber dafür ist in Paris der Besuch der Museen für alle EU-Bürger unter 26 kostenfrei :).
Im Verlauf der 10 Tage habe ich an zahlreichen Programmen teilnehmen können und festgestellt, dass es zwar einerseits deutliche Übereinstimmungen mit meinem Alltag im Neanderthal Museum gibt (Kleiderboxen, kein Aufenthaltsraum, Zusammenspiel Pädagoge-Lehrer, immer wieder die Frage: „Ist das eeeecht?“) aber andererseits auch Unterschiede: Das Musée de l’Homme ist deutlich umfangreicher, aber die Zahl der Führungen durch das überschaubare Team kleiner. Die Geräuschkulisse ist so, dass auch ohne Kopfhörersystem gearbeitet wird, was zudem naturgemäß eine größere Disziplin, Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme der Teilnehmenden erfordert. Zudem ist die Museumsaufsicht stärker vertreten. Auch die Themenschwerpunkte sind natürlich anders gelagert: schließlich ist man in Frankreich sehr stolz auf den Cro-Magnon und schaut aufgrund der gegebenen Möglichkeiten vor allem auch weiter in die Vergangenheit zurück aber auch in die Zukunft. Bei uns dominiert Lucy dort Toumaï.
Gefallen haben mir auch die Themenschwerpunkte im Bereich der Ökologie wie zum Beispiel der Vergleich der heutigen Nahrungsmittelzüchtungen; der deutlich gemachte Wunsch trotz des weltweiten Handys dieses durch die unterschiedlichsten Handyhüllen zu individualisieren. Und natürlich die zahlreichen Originale, die ungeachtet hervorragender Repliken eine große Anziehungskraft haben.
Besonders schön fand ich am Musée de l’Homme auch das Angebot: à l’improviste, bei dem einer der pädagogischen Museumsmitarbeitenden (dort „conférencier/ière“ genannt) die Besucher mittels öffentlicher Durchsage an eine von ihm ausgewählte Station zu einem 20-minütigen, kostenfreien Vortrag bzw. Austausch einlädt.
Und was für ein Glück, dass genau zur Zeit meines Aufenthalts die grandiose Sonderausstellung „Arts et Préhistoire“ lief mit ebenfalls unfassbar vielen Originalen. Hier hat mir insbesondere der Vortrag zur „Venus von Lespugues“ einige Aha-Erlebnisse beschert. Zudem wurde mir aus Anlass eines Besuchs von Mas des Musée de la Préhistoire aus Nemours ein Rundgang durch die unzähligen Labore des Musée im 2. Stock ermöglicht. Aber ehrlich gesagt: da bin ich zum Teil auch mit meinem Französisch an meine Grenzen gestoßen. Zumal wir Vergleichbares im Neanderthal Museum nicht haben.
Eine Virtuality-Tour im benachbarten Musée de l’architecture durch die Höhle von Lascaux? Auch das durfte ich gemeinsam mit dem Smac-Team erfahren – Verrückt realistisch aber irgendwie fühlte ich mich auch manipuliert, weil die Grenzen zwischen Realität und Virtualität wirklich verschwinden. Ahh – da ist ja gar keine Höhlenwand, gegen die ich mich bei dem 45-minütigen „Rundgang“ anlehnen kann, um den Ausführungen der Kollegin zu folgen…
Am letzten Wochenende wurde das dortige Osterferienprogramm im Foyer vorbereitet und auch dort gab es viele Parallelen zu unseren Angeboten in der Steinzeitwerkstatt. Die mir zum Abschied überreichte liebe Karte und das Plüschwisent haben mich total gerührt und haben jetzt einen Ehrenplatz bei mir zu Hause neben unserer Tinka aus dem Neanderthal Museum.
Abschließend möchte ich mich beim ganzen Team vom Musée de l’Homme in Paris für die zwei bereichernden Wochen bedanken und sage: Au revoir – vielleicht ja im Rahmen von ERASMUS+ bei uns im Neanderthal Museum. Was für eine tolle Erfahrung nach 25 Jahren in der Museumspädagogik vom Neanderthal Museum.
Jutta Vorderwülbecke-Nieder (Museumspädagogin am Neanderthal Museum)