Warum gibt es eigentlich einen gähnenden Neanderthaler in Forscherbox Nr. 2 „Leben und Überleben“?

von Holger Neumann

Seit Mitte 2013 kann man immer wieder gähnende Besucher an Forscherbox Nr. 2 beobachten. Warum? Ganz einfach: Die Rekonstruktion des gähnenden Neanderthalers von Studentin Livia Enderli steckt  mit seinem Gähnen an!

http://www.wissen.de/raetsel/wieso-ist-gaehnen-ansteckend

Als Studentin der Züricher Hochschule der Künste untersuchte Livia Gesichtsausdrücke und deren Wirkung auf Menschen. Zudem sollte aus dieser Untersuchung und im Zuge ihrer Bachelorarbeit eine lebensechte Gesichtsrekonstruktion entstehen. Aus ihrer persönlichen Faszination zu dem Fach der Ur- und Frühgeschichte entschied sie sich dazu, ein Gesicht von Homo sapiens neanderthalensis zu modellieren.

Aber warum wurde es ein gähnender Neanderthaler ?

Livia wollte mit ihrer Arbeit ein ganz traditionelles Vorurteil wiederlegen, welches den Neanderthaler als emotionsloses, keulenschwingendes Wesen darstellt. Da Emotionen wie Lachen, Weinen, Wut und Ärger beim Neanderthaler bisher noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen wurden, entschied sie sich dazu, einen gähnenden Neanderthaler nachzubilden. Eine Emotion, die allen Säugetieren von Natur aus gegeben ist – also auch dem Neanderthaler!

Livia wollte ihre Nachbildung jedoch nicht auf traditioneller Weise rekonstruieren, indem über einen Abguss des Originalschädels mit Ton, Wachs oder Silikon modelliert wird, sondern nahm sich vor, eine Rekonstruktion mit der neuesten digitalen Technik zu gestalten.

Auf Grundlage eines 3D-Scans vom Schädel des dreizehnjährigen Jungen aus dem Teshik-Tash-Höhlen in Usbekistan, das Livia vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zur Verfügung gestellt wurde und auf Grundlage von eigenen Fotostudien gähnender Menschen, fertigte Livia Zeichnungen an, die sich mit Gesichtern und Gesichtszügen von Homo sapiens sapiens und Homo sapiens neanderthalensis beschäftigten.

Auf Grundlage des Schädels vom Neanderthaler-Jungen und den Gesichtszügen heute lebender Menschen entstand nach vielen Skizzen und Versuchen, eine Zeichnung, deren Proportionen genau zu denen des Schädels des Neanderthalers 3D-Scans passte. Die Zeichnung wurde eingescannt und von Livia in das Bildbearbeitungsprogramm „Cinema 4D“ übertragen.

Auf Grundlage der Zeichnung modellierte Livia im nächsten Schritt und mithilfe des Programms, Punkt für Punkt und Polygon für Polygon, das virtuelle Gesicht.

Probleme machte dabei zum Beispiel die Rekonstruktion eines Ohrs, dass jedoch von Livia auf Grundlage eines Bildes aus dem Internet, bestens nachgestellt wurde.

http://de.wikipedia.org/wiki/Cinema_4D

Der fertige digitale 3D-Schädel wurde per 3D-Drucker mit Gips gedruckt und anschließend von Livia in sorgfältiger Handarbeit mit Kunststoff-Harz gehärtet. Um den rekonstruierten Kopf zum stehen zu bekommen, wurde in dem Hohlraum Isolationsmaterial eingeschäumt und ein Kugelgelenk befestigt, an dem ein Metall-Stab angebracht wurde.

Fertig ist die Rekonstruktion!

Doch nicht für Livia. Sie verlieh dem Gesicht noch einen persönlichen Charakter, indem sie im Cinema 4D mit verschiedenen Hauttönen, unterschiedlichem Lichteinfall und verschiedenen Haarfarben experimentierte. Um den verschiedenen Ausprägungen, der nun entstandenen Gesichter, noch mehr Persönlichkeit zu verleihen, druckte sie die Rekonstruktionen aus und überzeichnete sie mit Aquarellfarbe, Tusche oder Bleistift.

Nach Anerkennung des Bachelors war klar: Soviel Arbeit darf nicht in irgendeinem Regal verstauben. Livia nahm Kontakt mit dem Neanderthal Museum auf, welches sie ihr auch bereits in der Ausarbeitung der Rekonstruktion beratend zur Seite stand, und stellte sie für die Ausstellung zur Verfügung.

Wir freuen uns sehr den Besuchern solch eine tolle Rekonstruktion zeigen zu können, zumal das Gähnen den Besucher „ansteckt“ und so eine direkte Verbindung zwischen dem 3D-Druck und dem Besucher entstehen lässt.

Vielen Dank liebe Livia! Und weiterhin viel Erfolg bei deinem Studium!

Falls interessierte Leser mehr über Livia Enderli und ihre Arbeit erfahren wollen, ist hier der Link zu ihrer Website: http://www.liviaenderli.com

Herzliche Grüße aus dem Neandertal

Saskia Adolphy

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