Wir bei NMsee arbeiten seit 2,5 Jahren an einem inklusiven Mobile Game für das Neanderthal Museum. Wir – das sind unsere Berater*innen vom BSV Mettmann, die Game Designer*innen von Monokel GbR in Köln, die „Inkls“ von Inkl. Design GmbH aus Berlin und unsere Developer*innen von Wegesrand GmbH aus Mönchengladbach. Geleitet wird die ganze Aktion von mir, Anna Riethus, meines Zeichens Wiener Archäologin im Neanderthal Museum. Und natürlich gehören auch unsere engagierten Tester*innen dazu, die Wetter, Pandemie und sogar der Deutschen Bahn trotzten, um uns vor Ort im Museum mit ihrem Feedback zu unterstützen.
Möglich ist unser Vorhaben durch eine Kooperation zwischen einem Betroffenenverband – dem BSVN e.V. – und dem Neanderthal Museum (siehe auch unseren Blogartikel inkl. Interview mit dem BSV Mettmann). Die Zusammenarbeit entstand aus unserem Austausch der Jahre 2017 und 2018. Diese Kooperation war im Laufe des Projekts sehr wertvoll: egal ob bei Fragen zu möglichen Ausstellungsstücken, Screenreadern oder Braille-Druck, wir hatten stets kompetente Ansprechpartner*innen in Reichweite. Die Kolleg*innen aus dem BSVN e.V. und dem Museum haben NMsee mit viel Freude und Verständnis unterstützt, und so ein bisschen aus jeder Abteilung ins Projekt eingebracht.
Durch Partizipation voneinander lernen
Mit vielen Prototypen und Tester*innen zu arbeiten war für uns von Anfang an wichtig; Stichwort Partizipation! Die Aufgabenstellung von NMsee war, einen inklusiven Rundgang im Museum zu ermöglichen. Ohne den regelmäßigen Abgleich mit Leuten, die selbst eine Sehbehinderung haben, hätte diese Aufgabe nicht nutzerfreundlich bewältigt werden können.
Wir alle (inklusive Projektleitung) haben bestimmte Annahmen und vielleicht auch Vorurteile darüber, wie blinde und sehbehinderte Besucher*innen den Besuch in unserem Museum erleben. In unseren bis dato 5 User Testings sowie vielen Telefonaten, Meetings und WhatsApp-Chats wurden diese Annahmen oft widerlegt und verändert. 30 Minuten Gespräch mit unseren Tester*innen und Berater*innen haben mich stets mehr für das Projekt gelehrt als 3 Stunden Literaturrecherche.
In unserem Fall ist dieser ständige Austausch für das Projekt durch die oben beschriebene Kooperation möglich. Wichtig ist, in Zukunft Kolleg*innen mit Behinderung im Museumsbereich zu integrieren, damit dieser Austausch laufend im Team stattfinden kann. Auch unsere ersten Workshops (siehe Blog-Artikel: NMsee Workshop – pitchen, testen, Prototypen bauen) waren unglaublich wertvoll, um eine gemeinsame Richtung zu definieren. Zu Projektstart war klar, dass die Kombination von musealer Wissenschaftskommunikation, Inklusion und Games Potenzial hat. Aber was wollen unsere Gäste am liebsten wissen? Was ist spannendes Tastmaterial? Wie genau gestalten wir am besten die Gestensteuerung im Game? Diese Fragen haben wir im Austausch gesammelt, bearbeitet und in unseren inklusiven Rundgang einfließen lassen.
Verwalten und Gestalten
Durch den partizipativen Ansatz konnten wir beim Start im Januar 2019 nicht genau definieren, wie unser „Endprodukt“, der inklusive Rundgang, genau gestaltet werden wird. Dadurch war es sehr wichtig, im gesamten Projekt die Möglichkeit für Anpassungen und Veränderungen einzubauen. Der Rundgang wurde deshalb mit einem iterativen, also schrittweise annähernden, Projektdesign entwickelt. Im Zuge mehrerer Wiederholungen, bei denen Ideen gesammelt, diskutiert, prototypisch umsetzt und getestet werden, konnten wir uns so gemeinsam mit unseren Tester*innen an unser Ziel annähern. So ein flexibles Vorgehen ist inhaltlich spannend, und für die Entwicklung neuer Ansätze sehr empfehlenswert. Allerdings steht diese Methode in einem krassen Gegensatz zu den sogenannten Vergaberichtlinien, die wir als Förderprojekt einzuhalten hatten (für Wagemutige hier der Versuch einer Erklärung: Vergabeverfahren des Deutsches Ausschreibungsblatt). Regelmäßig kam es deswegen zu Reibung zwischen dem Design-Prozess und den sehr bürokratischen und zeitaufwändigen Vergabeverfahren. Auch hier haben wir viel für die Zukunft gelernt.
Neue Exponate und ein Bodenleitsystem
Neben der eigentlichen Game-Entwicklung (siehe auch Blogbeiträge über unser Game Design und unser Game Development) haben wir auch bauliche Änderungen im Museum angegangen, um unseren Gästen unabhängig vom Sehvermögen einen angenehmen Besuch zu ermöglichen. Gemeinsam mit der Firma Inkl. Design haben wir in der Dauerausstellung eine inklusive Infrastruktur aufgebaut, die nun mithilfe eines Bodenleitsystems, taktilen Schildern und zahlreichen neuen Tastobjekten neue Zugänge zu den Ausstellungsinhalten bietet.
Game Release & Abschluss
NMsee hält, trotz COVID-bedingter Verzögerung, derzeit konstant auf die Zielgerade zu. Unsere inklusive Infrastruktur, die wir schon sehr liebgewonnen haben, ist vollständig eingebaut und wartet sehnsüchtig auf neugierige Besucher*innen. Gemeinsam mit dem Osterhasen arbeiten wir an der Auslieferung des inklusiven Mobile Games, das kostenlos für Android und Apple zur Verfügung gestellt wird. Damit im Anschluss an unser Projekt möglichst viele unserer gesammelten Erfahrungen weiterhin zur Verfügung stehen, bereiten wir eine ebenfalls inklusive Abschlusspublikation vor. Für alle, die gerne Theorien und komplexe Hintergrundfragen erkunden, schreibe ich parallel an meiner Promotion. Das Projekt NMsee dient darin als Fallbeispiel für erlebnisorientierte inklusive Vermittlungsmethoden.
Bis Dezember 2021 sind wir mit NMsee noch im Neanderthal im Einsatz. Wer Interesse am neuen Rundgang, weiteren inklusiven Maßnahmen des Museums oder an einem Tratsch über Museums-Games hat, kann gerne per Mail (anna.riethus@bsv-nordrhein.de) oder Twitter (PM, @ARiethus) Kontakt aufnehmen.
Anna Riethus, Wissenschaftliche Projektleitung NMsee